Herrn Grafs italienische Trinknotizen - Folge 9

Autor: Bustine di Bacco - Roland Graf am 20.04.2021

Bustine di Bacco - Herrn Grafs italienische Trinknotizen
FOLGE 9 - MARINA, GIANNI UND DIE LIEBE
(ZU TREBBIANO UND MONTEPULCIANO)

 

Im Land der Wein-Methusalems, sowohl was Rebsorten („kam mit den Phöniziern…“) betrifft, als auch Winzerdynastien, sind 40 Jahre ein Wimpernschlag. Doch wenn es in dieser kurzen Zeit gelingt, eine weitgehend unbeachtete Region Italiens auf die Welt-Weinkarten zu setzen, ist das schon beachtlich. Zumal tragischer Weise dem Motor dieser Entwicklung keine vier Jahrzehnte vergönnt waren, sondern lediglich 27 Jahre. Es geht um Gianni Masciarelli und die Abruzzen.



24 war er, als er nach Praxisjahren heimkehrte, um aus den lediglich 2,5 Hektar Weingarten des Großvaters „etwas“ zu machen. Heute wird dieses „etwas“ in 60 Länder exportiert. Und wir reden von jährlich 2,5 Millionen Flaschen. 1983 war es schon ein Erfolg, wenn Gianni seine 9.000 Flaschen füllen konnte. Doch auch, wenn der Erfolgslauf ohne ihn weitergehen musste: Das Stammhaus, in dem alle Fäden zusammenlaufen, ist nach wie vor die Villa Gemma in San Martino sulla Marrucina. Der Weinbau allerdings geht 2021 weit über das heimatliche Chieti hinaus. In allen vier Provinzen der Regione Abruzzo hat man Parzellen.

Aus dem Drive von Gianni wurde eine mit Frauenpower geführte Kellerei, deren Gestalt Marina Cvetic, die Witwe des Charismatikers, prägte. Es ist ein Liebesbeweis, der den Tod überdauert hat, dass eine Weinlinie (von insgesamt sechs) den Namen der Frau trägt, die der Winzer in Kroatien – natürlich beim Einkauf von Fässern – kennen und lieben lernte. Und die romantische Geste erwiderte Marina Cvetic posthum: „Botte di Gianni“ heißt die Linie, die sich durch besonders langen Holzeinsatz auszeichnet. Auf den meisterlichen Umgang mit den Barriques wird noch zurückzukommen sein, denn er zeichnet besonders die Weißweine aus der Villa Gemma aus. Wobei hier das Gebäude gemeint ist, denn „Villa Gemma“ heißt auch die zweite Premiumlinie. Der bekannteste Wein des Guts ist vermutlich auch immer noch der geradezu rare „Villa Gemma Montepulciano d’Abruzzo DOC Riserva“. Als die begehrten „tre bicchieri“ den Montepulciano d’Abruzzo erstmals adelten, war das ein Meilenstein.



Veilchen mit Gulasch-Saft – und das großartig!
Bis heute werden aber maximal 5.000 davon abgefüllt, mitunter deutlich weniger. Doch auch der Montepulciano d’Abruzzo „Marina Cvetic“ ist ein gewaltiger Rotwein – zu einem erstaunlich zivilen Preis. Schenkt man den Jahrgang 2017 ein, offenbart sich gleich seine Komplexität: Blumen-Duft von Geranien und Veilchen paart sich mit deutlich pikanteren Zügen. Als Österreicher versteht man, dass es ein Lob ist, wenn das an Gulasch-Saft erinnert – und keine Beleidigung. Denn diese flirrende Paprizität ist selten bei einem Wein, der keinen Cabernet enthält. Als wäre dieser Widerstreit, der das Aroma-Rad in zwei Richtungen (floral und pikant) dreht, nicht genug, setzt der Rote aus den Abruzzen noch einen feinen Mokka-Duft darauf. Frucht gibt es natürlich auch, sie mag sich nicht zwischen Heidelbeere und Brombeere entscheiden. Und wirkt jedenfalls frisch und kräutrig, als wären auch ein paar würzige Blätter mitgepflückt worden.

Vom ersten Schluck an wirkt dieser Wein nachdrücklich und legt sich mit cremigem Schmelz auf den Gaumen. Dabei hat er auch ordentlich Säure, was nach Widerspruch klingt, sich hier aber bestens zusammengefügt ist. Überhaupt scheint bei diesem Montepulciano alles der Struktur zu dienen. Klar benennbare Frucht muss man am Gaumen eher suchen, will es aber gar nicht. Die Johannesbeere wird nämlich sowohl von viel Würze – es ist wieder der feine Paprikapulver-Ton! – überlagert, als auch von feinstem Gerbstoff begleitet. Der Umgang mit dem neuen Eichenholz erscheint meisterlich. Denn beim jungen Montepulciano muss 18 Monaten im Barrique erst einmal ein so kühler Charakter durchschimmern!

Lagerfähig ist er natürlich auch und Martina Cvetic empfiehlt ihn aufzusparen, „wenn es Filet Steak mit schwarzen Trüffeln oder gegrilltes Fleisch gibt“. So kann man ihn sich etwa im „Castello di Semivicoli“ schmecken lassen. Das malerisch inmitten von Weinbergen und vor dem felsigen Gran Sasso gelegene Boutique-Hotel führt ebenfalls auf Gianni Masciarelli zurück. Er kaufte das aus dem 17. Jahrhundert stammende Gebäude in den frühen 2000er Jahren. Jahrelang wurde renoviert und so entstand ein Refugium, das sich nicht nur für Weinliebhaber anbietet. Marina Cvetic führt es heute mit ihrer ältesten Tochter Miriam Lee Masciarelli. Gemeinsam arbeitet man im Familienbetrieb weiter daran, der Welt die autochthonen Rebsorten der Abruzzen nahezubringen.

Ein Rosé, den Rotweintrinker lieben: Cerasuolo 2020
Zum Beispiel als Rosé – wobei das beim 2020er Cerasuolo so eine Sache ist. Denn mit dünnen, meist per „Aderlass“ gewonnenen Rosatos hat dieser Wein wenig zu tun. So mancher Rosé-Trinker wird hier nicht nur wegen der namensgebenden kirschroten Farbe staunen. Miriam Lee Masciarelli sagt es deutlich: „Für mich ist er mehr ein sommerlicher Rotwein als ein Rosé“. Mit derlei Eindeutigkeit kann ich nicht dienen. Denn die Farben in der heimatlichen Malerwerkstatt rührte immer die Großmutter an. Ob das jetzt also noch Grenadine oder schon Almandine ist, was da im Glas schimmert, mag heute Signore Pantone mit seinen Zahlenkartln beantworten. Fix sind hingegen 14% Alkohol, die man auch nicht so erwartet.



Das große ABER: Wie er das schafft, diese Kraft sowohl in der Nase, wie auch am Gaumen weg zu schwindeln, bleibt ein Mysterium. Denn die Duftnoten nach Erdbeere und Malve, die an das gute alte „Campino“-Zuckerl erinnern, zeigen davon nichts. Cremigkeit ist schon da im Duft, aber kein alkoholisches Feuer. Das Verwirren des Genießers geht aber weiter: Ribisln und Blutorangen sorgen für eine nahezu kühle Anmutung; wieder täuscht das Leichtigkeit vor – bei einem Rosé, der kräftiger ist als viele Rotweine! Mit Granatapfel beschreibt man den Geschmack am besten. Denn im Finish ist hier auch einiger Gerbstoff zu merken. Davor ist der Cerasuolo 2020 aber sehr saftig, was auch an der Säure liegt. Die bemerkt man aber erst so richtig, wenn der Wein aus den Abruzzen ein wenig wärmer geworden ist. Das nächste Umdenken ist gefragt: Zu kalt serviert, kann dieser recht „rotweinige“ Rosé seine Finessen nämlich nicht zeigen. Und dass er nicht zu warm wird im Glas, dafür sorgt er eh selbst. Bzw. seine trinkanimierende Art.

Bewußtseinserweiternder Holzeinsatz
Dann kommt der Nostalgie-Moment. Denn den Trebbiano haben wir persönlich dem ebenfalls großartigen „Chardonnay Marina Cvetic“ gegenüber immer schon leicht vorgezogen. Und zuletzt in Mailand vor sieben Jahren im Navigli-Viertel bei Matias Perdomo im „Al Pont de Ferr“ getrunken. Neben dem Dessert – es gab eine Campari-Flasche aus rotem, gesponnenen Zucker – blieb dieser Wein in Erinnerung. Und die täuscht manchmal. Aber nicht beim Weißwein aus den Abruzzen. Die Riserva wird bereits im Holz vergoren, reift ein gutes Jahr in neuen Barrique-Fässern und bekommt auch noch ein Jahr Flaschenreife mit. Das allein ist einfach technisches Hintergrund-Wissen, ein Papiertiger. Doch die Eleganz der Aromen zeigt dieser 2018er bereits im Duft. Er verrät einen ähnlich gelungenen Holzeinsatz beim Weißwein wie manch burgundischer Chardonnay. Das Holz ist merklich bei diesem Vertreter der „Marina Cvetic“-Weinlinie. Zugleich wird es aber bereits in dieser Jugend des Weins in die zweite Reihe verbannt: Kleehonig, Früchteplunder mit Vanillecreme, etwas Mango und Birne Helene legen stattdessen vor und zeigen dem Riechorgan die Vielschichtigkeit an.

Supersaftig am Gaumen, mischt sich einen Schluck später wieder Tropenfrucht mit Vanillecreme und Mandel-Schokolade. Ein zarter Rauch-Ton im Geschmack schwillt an und leitet diese Spannung im Finale aus – da übernehmen dann Gerbstoff und Säure die Stützung des mächtigen Gebälks aus Frucht.  Und hat man sich an diese Wucht an Eindrücken erst gewöhnt, fallen einem die feineren Linien auf. Etwa das zitronig-salzige Rückaroma, das dazu beiträgt, diesen 14% Alk.-Weißwein als ungemein süffig zu empfinden.  Für wen finessen-reicher Weißwein immer noch im Trentino endet, sollte diese Grenze (und seinen Horizont) in Richtung Abruzzen verschieben. Gianni wäre stolz darauf. Und Marina hat es verdient.

Wo bekomme ich den?
Alle Weine sind – teils in Kostpaketen – im Webshop des Weinguts erhältlich (https://store.masciarelli.it). Auch der Sterzinger Händler Mair&Mair verschickt die Weine; der Montepulciano d’Abruzzo Riserva „Marina Cvetic“ 2017 kostet dort EUR 21,90, www.mair-mair.com

 

 

Stichwort:
Italienische Weine, Spumante, Spirituosen & Weinführer
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Mipiace.at Christoph Cecerle

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Christoph Cecerle macht vor keinem fahrbaren Untersatz halt und hält sich dabei ausnahmslos an italienische Fabrikate. Ob im Rennsportsitz eines Abarth, auf dem Sattel einer Moto Guzzi oder Vespa oder verdecklos im Cinquecento, der Mann testet alles, war zwei bis vier Räder hat.

Seine Testberichte sind derart genussvoll, daß ich nicht anders konnte, als ihn auf italissimo.at einzuladen. Wer mehr von ihm lesen will, dem sei sein Blog mipiace.at ans Herz gelegt, wo es auch schon einmal um Mode und Genuss im engeren Sinne gehen kann.

Bustine di bacco

Roland Graf im Blog auf italissimo- Bustine del bacco

Bustine di bacco

„Bustine di Minerva" hieß Umberto Ecos langjährige Kolumne und frech strich Roland Graf die Göttin des Herdes und ersetzte sie für die neue „italissimo"-Kolumne durch den Gott des Rausches. 

Der Autor (im Bild von Ch. Barz vor den besagten Bustine abgelichtet) sagt damit gleich auch etwas über sich: Er ist studierter Philosoph und Philologe (daher die Eco-Hommage!), vor allem aber Reisender in Sachen Getränken. 

Stand zu Beginn vor allem die Berichterstattung über Winzer im Mittelpunkt, erweiterte sich der Schwerpunkt seiner Artikel - in „Mixology", „A la Carte", der ÖGZ sowie dem WIENER - auf die Themen Bier und Bars. 

Nachzulesen, neben dem Italien-Blog Ihres Vertrauens, ist das auch alle zwei Tage aktualisiert unter www.trinkprotokoll.at.