Autor: Roland Graf am 13.07.2016
Bustine di Bacco - Herrn Grafs italienische Trinknotizen
FOLGE 3 - AMORE, AMARO, AOSTA – UND ÄPFEL SPIELEN AUCH MIT
Mussolini war einiges nicht zu blöd am Weg zum Beherrschen des „Mare Nostrum“ und der faschistischen Weltordnung. Und so verbot der „Duce“ sogar Äpfel. Respektive den Rausch aus vergorenen Früchten, so sie nicht der romanischen Tradition des Weintrinkens entsprachen. Most? Das konnte für den altrömischen Wiedergänger (Rutenbündel inklusive) nur ein barbarischer Bauerntrank sein. Und solche Unsitten hatte nicht einmal im wenig italianisierten Vallée d’Aoste einen Platz. Die alten Bergapfelsorten Raventze, Coison de Boussy, Barbelune wurden quasi über Nacht unnötig, denn Fruchtweine unter 7% erklärte Mussolini per Gesetz zu unerwünschten, un-italienischen Getränken.
Damit war der Sidro, die lokale Variante des vor allem im ehemals keltischen Siedlungsgebiet beliebten Apfelweins (der Star der Cidre-Welt, Eric Bordelet, sitzt heute in der Normandie), Geschichte. Denn nach dem Krieg gab es andere Sorgen als die alten säuerlichen Äpfel rund um den Mont Blanc zu pflegen. Und dann kam Gianluca. Der Önologe mit Nachnamen Telloli erkannte, welchen Schatz die alten und Jahrzehnte ohne Pflanzenschutz-Chemie vor sich hinwachsenden Bäume darstellten. Auf das Erzeugen sprudelig-alkoholischer Getränke verstand sich der Mann zusätzlich, nachdem er als Kellermeister in der Franciacorta gelernt hatte.

Der Apfel-Schaumwein war nur eine Frage der Zeit. Spätestens als Gianluca Telloli den ersten „Gran Jorasses“ aus seinem neuen Unternehmen Maley – Firmenlogo ist natürlich ein Apfel – am Gipfel den Mont Blanc entkorkte, kannte die Sommelier-Welt den Retter der Raventze-Bäume. Doch aus Apfel lässt sich mehr als der Fruchtsekt erzeugen. Und als echter Italiener, auch wenn er als Grenzgänger zu Frankreich Sidro erzeugt, schätzt Telloli natürlich den Amaro. Der bittere Geschmack, der Italien einen Sonderplatz in den Markt-Charts der globalen Spirituosenkonzerne beschert (kein Land trinkt mehr Bitterliköre!), kann natürlich auch mit Apfelsüße kombiniert werden.

Hier kommt erneut die italienische Geschichte ins Spiel, genauer die piemontesische; denn die Könige von Savoyen herrschten nicht nur über ein gemischtes französisch-italienisches Territorium. Sie prägten auch den Geschmack. Bis heute hat das Getränk, nach dem der Hof im 19. Jahrhundert verrückt war, seine Hochburgen auf ehemals savoyischem Herrschaftsgebiet. Der trockene französische Wermut nach der Art von Chambery (z. B. der Dolin) gehört ebenso wie der Vermouth di Torino (Martini) zu den Hinterlassenschaften, die von den Königen Savoyens gefördert wurden. Während der heute in den Bars der Welt wieder gefragte Wermut von Gesetz wegen aus 75% Wein bestehen muss, der mit den (bitteren) Kräutern und Zucker aromatisiert wird, setzte Telloli einfach seinen Apfelwein ein. „Cristallier“ nennt sich das Ergebnis, das nach Italiens großer „Amore“, dem Amaro, schmeckt.

„Liquore al base di Sidro“ steht nach EU-Recht auf dem Nicht-Wermut, doch die Familien-Ähnlichkeit zum großen Bruder aus Turin ist nicht abzustreiten. Der
bei der
Distilleria Fratelli Revel Chion in Chiaverano finalisierte Sidro-Likör erinnert mit den Alpenkräutern und Artischocken im Duft an zwei große Amaro-Traditionen: (Berg-)Kräuterbitter auf Enzianbasis und der Cynar mit seiner Artischocken-Note sind gleichermaßen als Assoziation da bei Maleys „Cristallier“. Den herben Kräutern steht aber auch eine Fruchtigkeit gegenüber, die an Honig und Blutorangen denken lässt. Beim Kostschluck ist ein Blick auf das Etikett der Halb-Literflasche angebracht: Kräftiger als seine nur 18 Volumsprozente kommt der Aosta-Bitterlikör daher. Doch der große Besänftiger Honig lugt schon um die Ecke; er sorgt für den Ausgleich zu den Kräutern und der Kraft. Gemeinsam mit den an pochierten Apfel, aber auch etwas Birnenkompott, angelehnten Frucht sorgen die Honig-Aromen für ein bitter-süßes Finale.
Einsetzbar ist der Aosta-Apfel-Likör jedenfalls vielseitig – selbst, wenn man ihn nicht als Apéro con ghiaccio trinken mag. Überall, wo Wermut ins Rührglas oder den Shaker kommt, kann man mit dem „Cristallier“ spielen. Warum nicht einen italienischen Gin („Marconi 46“ von Poli etwa) mit dem Liquore die Sidro zu einem „Martini“, gänzlich made in Italy, mixen?
Wo bekomme ich den?
Der „Liquore al base di Sidro“ Cristallier ist um EUR 18 (0,5 Liter-Flasche) bei Maley ab Hof erhältlich,
www.maleymontblanc.com
Fotoquellen:
1. Foto - Roland Graf
Restliche Fotos - Maley